Wir Verlorenen von Jana Taysen – eine Rezension
Hier möchte ich dir einen dystopischen Roman vorstellen, dessen Realität gar nicht so weit von unserer entfernt liegt. Wir Verlorenen von Jana Taysen ist der Auftakt einer Dystopie-Trilogie, die im Kirschbuch Verlag erschienen ist und Janas Debüt darstellt.
Kleiner Disclaimer vorweg: Falls du durch die Pandemie Ängste entwickelt haben solltest, solltest du dir vielleicht zweimal überlegen, ob du diesen spannenden Roman lesen möchtest. Denn die Geschichte wird dich in ihren Bann ziehen und dir zeigen, dass diese Dystopie tatsächlich nicht weithergeholt ist. Ich habe mich draufeingelassen und konnte das Buch nicht mehr aus der Hand legen. Warum erzähle ich dir in dieser Rezension.
Worum geht’s in Wir Verlorenen von Jana Taysen?
Die Eifel. Nach einer verheerenden Plage, die die Menschen innerhalb von Minuten das Leben ausgesaugt hat, gibt es nur noch wenige Überlebende. Diese scheinen immun gegen das Virus zu sein und leben fortan in einem Deutschland ohne Gesetz und Ordnung. Die junge Erwachsene Smilla zieht mit ihrer kleinen Schwester Jera nach dem Tod ihrer Mutter los, um ihren Vater zu suchen. Doch die beiden Mädchen bleiben in der Eifel hängen und schließen sich einer Gruppe an, die versteckt in einem Bunker lebt. Das Leben ist fortan von Angst, Dunkelheit und strengen Regeln innerhalb der Gruppe geprägt. Denn wer sich unbedacht draußen aufhält, kann Gefahr laufen, dem grausamen Clan der Verlorenen Jungs in die Hände zu gehen. Eines Tages wird Smilla von einem abgerichteten Hund überfallen, ihre Schwester entkommt nur knapp. Doch dann stellt sich heraus, dass der Hund zu Falk gehört, ihrem ehemaligen Nachbarn. Und schon findet sich Smilla in einer Spirale aus Verrat und Lügen wieder, die es ihr unmöglich macht, irgendjemandem zu trauen. Und welche zwielichtige Rolle spielt Falk dabei?
Eine reale Dystopie
Auf 405 Seiten begleiten wir Smilla auf ihrem Weg durch die Eifel und stehen ihr beim Kampf ums schiere Überleben bei. Nachdem die Hälfte der Menschheit ausgerottet wurde, sind Instinkte bei den Überlebenden geweckt worden, die für sie bei ihrem Davor wohl undenkbar gewesen waren. Jetzt müssen sie jagen und fischen, Mehl aus Eicheln herstellen und wertvolle Waren sammeln – oder gar plündern –, um sie auf dem Monschauer Markt gegen Notwendiges zu tauschen.
In dieser chaotischen Welt ist kein Platz für Vertrauen, Sorglosigkeit oder gar Romantik. Smilla und ihre Gruppe leben mit geduckten Köpfen. Denn wer sich unvorsichtig im Freien aufhält, ist leichte Beute. Die Verlorenen Jungs sind ein gefürchteter Clan, die plündern, foltern und morden, um ihr eigenes Überleben zu sichern.
Doch dann trifft Smilla auf Falk. Abgesehen von ihrer anfänglichen Skepsis, ob sie ihm überhaupt trauen kann, genießt Smilla es, endlich mit jemandem frei und ungezwungen über das Davor sprechen zu können. Dabei treiben sie auch wichtige Fragen des Lebens um. Die Autorin wird hierbei fast schon philosophisch und regt den Leser zum Nachdenken an. Wie würde ich reagieren, wenn ich in einem chaotischen Land, ohne Gesetz und Ordnung, ums Überleben kämpfen müsste? Wie würde ich mich verändern, wenn ich gezwungenermaßen meinen Luxus (eine Wohnung mit Bett und fließendem Wasser, Geld und die Möglichkeit jeden Tag in den Supermarkt gehen zu können) gegen einen Bunker unter der Erde tauschen müsste? Wäre ich auch bereit, Dinge zu tun, die ich zuvor für unmoralisch gehalten habe, nur um mein Überleben und das meiner Lieben zu sichern?
Kein Roman für schwache Nerven
Nein, es ist kein Horror oder Psychothriller. Die Geschichte ist dennoch realer als man bei Fiktion denken mag. Eine Dystopie, die man greifen kann. Anfangs hatte mir das Lesen Unbehagen bereitet, weil ich mich tatsächlich in Smillas Realität wiederfinden konnte. Selbst wenn die Autorin die Geschichte vor unserer Pandemie entwickelt und geschrieben hat, ist sie nicht weit hergeholt. Und das ist es, was mir anfänglich einen flauen Magen bereitete. Es hat mir bewusst gemacht, dass Luxus verpuffen kann; dass unsere staatliche Ordnung fragil ist; dass wir nicht die Welt retten können und dass tatsächlich jeder zu allem fähig sein kann, wenn er sich dazu gezwungen sieht.
Wer kein Blut sehen oder davon lesen kann, sei ebenfalls vorgewarnt. In dieser Welt darf man nicht zimperlich sein, darf keine Schwäche zeigen, denn die Schwachen sind leichte Beute. Falls du einen sensiblen Magen hast, der allein bei dem Gedanken an Blut, Eiter und Entzündungen ins Rumoren kommt – für dich ist dies eine inoffizielle Triggerwarnung. Trotzdem halten sich diese Beschreibungen in Grenzen.
Mein Fazit
Die Geschichte um Smilla, Jera und Falk ist bis ins Detail recherchiert. Man merkt, die Autorin kennt die Umgebung und ist selbst durch die Eifel gewandert, um sie noch greifbarer zu machen. Die Charaktere sind unglaublich vielschichtig, glaubwürdig und real, die Autorin hat jedem von ihnen ein eigenes Leben eingehaucht. Auch der Schreibstil ist flüssig und unglaublich wort- und abwechslungsreich. Zwischendurch musste ich mich vergewissern, dass es sich tatsächlich um ein Debüt einer knapp 30-jährigen Autorin handelt. Der Spannungsbogen wurde durchweg gespannt, zwischenzeitlich die Sehne etwas gelockert, doch zum Ende hin fast bis zum Zerreißen überspannt. Ich kann diese Geschichte jedem empfehlen, der sich auf dieses Gedankenexperiment einlassen will. Den zweiten Teil Wir Verstoßenen werde ich mir auf jeden Fall holen!
Edit: Ich habe mir den zweiten Teil bereits geholt 😉
Wenn du die Autorin unterstützen möchtest, statte ihr gerne einen Besuch hier auf Instagram oder ihrer Website ab. Den Roman Wir Verlorenen, wie auch den Folgeband Wir Verstoßenen kannst du beim Kirschbuch Verlag bestellen. Der junge Verlag hat in der Verlagswelt bereits für Aufsehen gesorgt. Er prüft jedes Manuskript mithilfe der Software LiSA auf u.a. Genre, Semantik und Charaktere, um jedem Autor und jeder Autorin eine Chance auf eine Veröffentlichung zu geben. Mehr Infos kannst du hier bekommen.